Ein Schwabe in Bayern
Ein Schwabe in Bayern

- 2 - Run for Betty's

Die Engländer schlafen nicht wie ein Stein, sondern wie ein „log“. Wie ein Baumstamm also. Einer meiner Chefs meinte, das drücke mal wieder viel über die Natur der Deutschen und der Engländer aus. Während in Deutschland alles solide und stabil ist, ist in England alles „doomed to rot“. Der viel besungene englische schwarze Humor.

Wie ein log habe ich in letzter Zeit nicht oft geschlafen. Heute ist mein erster Tag alleine in einem fremden Land. In Deutschland habe ich mit Inbrunst versucht, meinen Freunden weiszumachen, dass in England Hamster nicht Hamster heißen, sondern „gerbil“. Ich hatte dieses vermeintliche Wissen von meinem letzten Englandbesuch. Die beiden Zwillingstöchter meines Chefs haben nämlich eben jene Tiere, die immer als „gerbils“ bezeichnet wurden und die ich auf einen Blick schnell als Hamster klassifizierte. Wie sich allerdings herausstellte, muss ich wohl letztes Mal ihre Schwänze übersehen haben. Es handelte sich bei besagten Tieren natürlich nicht um Hamster, sondern um Wüstenrennmäuse. Hamster heißen auch in England Hamster. 

Der Tag des Einzugs im 78 Aldborough Way war nicht unbedingt von Glück gesegnet. Es war der kälteste Tag seit ca. 20 Jahren und mir froren beim Kistenschleppen beinahe die Finger ab. Vor allem, da das Umzugsunternehmen nicht wie angekündigt um 6 Uhr morgens an meinem neuen Haus eintraf, sondern lockere 3 ½ Stunden später. Während dieser sehr lange scheinenden Stunden saß ich frierend in dem sich langsam aufwärmenden Haus und konnte von Glück sagen, dass Glühbirnen in den Fassungen waren, sonst wäre ich auch noch im Dunkeln gehockt. 

Allerdings gewann ich doch schnell den Eindruck, dass das Häuschen ein echter Glücksgriff war. Mit hübschem Garten, neu renoviert, direkt am Fluss und das ohne Flutrisiko (ein großes Thema in York). Ein weiterer Grund zur Freude war, dass die Waschbecken doch tatsächlich mit einem und nicht zwei Wasserhähnen ausgestattet waren. Allerdings wurde die anfängliche Freude gemindert, als ich herausfand, dass sich innerhalb dieses einen Wasserhahns doch wieder 2 separate Leitungen für extrem heißes und extrem kaltes Wasser versteckten, so dass man wieder nur unter Schmerzen die Hände waschen konnte. Überhaupt scheinen die Engländer ein hartes Volk zu sein. Das Heiß- und Kaltwasserproblem auf der einen Seite und Colman-Senf auf der anderen. Ich shoppte unschuldig nach einem ausgiebigen Ikea-Trip bei Tesco und war der Meinung Senf zu kaufen. Nun ja, Senf war es schon, allerdings das krasseste, was man sich an Schärfe vorstellen kann. Anfangs wusste ich das nicht und haute mir eine ordentliche Portion auf mein Sandwich, was extreme Schmerzen in den Atemwegen, sowie starken Tränenfluss zur Folge hatte. Dennoch entdeckte ich den Reiz dieses Senfes und wagte mich auch die nächsten Tage immer wieder daran (wenngleich ich die Streich-Menge doch etwas nach unten korrigierte). 

Heute schaffte ich es endlich im dritten Anlauf, in Betty’s Tea Rooms zu gelangen. Beim ersten Versuch wurde ich kurz vor Erreichen des Ziels mit dem Problem konfrontiert, dass alle anderen Läden nach dem Tearoom-Besuch geschlossen haben würden und ich demnach ohne Futter dastehen würde. Da mussten dann doch Prioritäten gesetzt werden. Beim zweiten Anlauf an Neujahr war Betty’s geschlossen, so dass ich unbefriedigt von dannen trottete und stattdessen die Stadtmauern von York abwanderte. Doch heute dann war ich endlich in den von mir schon diverse Male in den schillerndsten Farben geschilderten heiligen Hallen. Ich gab mich sogleich als Ausländer zu erkennen, indem ich morgens um 11 den „afternoon tea“ bestellte. Bereut habe ich es allerdings nicht. In silbernen Etageren wurden mir Köstlichkeiten serviert, die einen zum Geifern brachten. Auch der Tee kam in silbernen Kannen daher und war ganz ausgezeichnet. Zur Abrundung dieses Festmahls mit dem Kaloriengehalt von 2-3 vollwertigen Weihnachtsmenüs begab ich mich dann noch in ein Museum, in dem man nicht selbst laufen muss, sondern in kleinen, noch aus der Kindheit aus Geisterbahnen bekannten Wägelchen herumgefahren wurde. Jorvik. Ein Museum über die keltische Vergangenheit Yorks. Wenn auch eher für Menschen unter 12 konzipiert, war es dennoch nett und ich erfuhr einiges über das Leben vor 1000 Jahren. Inklusiver der Gerüche. Hmmm. 

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© Isabella Paul-Jordanov