Ein Schwabe in Bayern
Ein Schwabe in Bayern

- 10 - CCTV

Mittlerweile bewegen wir uns in rasanten Schritten auf Weihnachten zu und wie überall auf der Welt werden auch hier in York riesenhafte Weihnachtsbäume aufgestellt, und die Einheitsschokoladenfiguren tragen nicht mehr das goldene Kostüm eines Osterhasen, sondern eines Weihnachtslamms. Tatsächlich. Ich dachte, ich traue meinen Augen nicht, aber hier in England gibt es von Lindt ein goldenes osterhasenförmiges Weihnachtslamm. Was auch sonst, bei der Dichte an Schafen. Eine weitere Absonderlichkeit, die mir beim Streifzug durch die Stadt aufgefallen ist, und die ein Geschenke-Renner zu sein scheint, ist ein Schokoladenspringbrunnen. Dieser ist als Fondue gedacht und besteht aus 3 Etagen, wobei aus der obersten die geschmolzene Schokolade sprudelt. Es hat schon seinen Grund, dass die Briten vor den Deutschen (Platz 3) und den Griechen (Platz 2) die fetteste Nation Europas sind. Passend hierzu fällt mir die Geschichte von 2 Müttern aus Yorkshire ein, die ihren armen Kindern durch das Gitter, das die Grundschule ihrer Sprösslingen eigentlich vor Bösem bewahren sollte (!), Fish&Chips gereicht haben, da sie fanden, dass ihren Kindern das Recht auf freie Nahrungswahl genommen wurde. Der Hintergrund hierzu ist, dass der Starkoch Jamie Oliver, auch bekannt als „naked chef“, eine Initiative gestartet hat, englische Kinder besser zu ernähren und sie statt mit einer Tüte Crisps und einer Cola lieber mit Gemüse und Saft zu füttern. Dementsprechend wurde aus den Schulmensen alles Junkfood verbannt und die Schulköche bekamen Rezepte von Jamie Oliver, die sie fortan zubereiten sollten. Gesagt getan. Aber wie gesagt stieß diese Initiative auf den Widerstand von sogenannten „Chafs“, das was wir Prolls nennen… Chafs zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie jede modische Entwicklung von Victoria Beckham imitieren, oben blonde und darunter eine Schicht dunkle Haare haben und ehemals teure, ehrwürdige Marken wie Burberry entwertet haben, indem sie anfingen, sie zu kaufen.

Engländer sind komisch, das wissen wir schon lange. Aber ihre Haltung zu Überwachungskameras und Personalausweisen ist selbst vor diesem Hintergrund schwer begreiflich. Jeder Brite wird im Schnitt pro Tag 300 mal gefilmt. Die „CCTV“ Kameras sind überall: an öffentlichen Plätzen, in Bussen, an der Uni, in Läden, etc. Das wäre in Deutschland undenkbar, macht aber den Engländern nichts aus. Aber die geplante Einführung von Personalausweisen wird mit der größten Entrüstung und allem erdenklichen Widerstand aufgenommen (und das, wo doch jeder Brite auch einen Reisepass besitzt). Um dies noch absurder scheinen zu lassen, wurde vor Kurzem in Middleton (ein mittelgroßer Ort in Yorkshire) jetzt eine neue Art Kamera eingeführt, die sprechen kann. D.h., wenn jemand zum Beispiel eine Bananenschale auf den Boden schmeißt, wird er per Lautsprecher ermahnt, diese aufzuheben und in den Müll zu schmeißen. Ich mache keine Witze. Big brother is watching you. Das scheint hier keinen zu stören. 

Ich fragte mich in letzter Zeit, warum alle Leute so einen roten Fetzen im Knopfloch tragen und befragte diesbezüglich das allwissende Orakel Quentin. Es handelt sich dabei um eine stilisierte Mohnblüte, eine „poppy“, die daran erinnern soll, wie die Soldaten im zweiten Weltkrieg in irgendeinem Mohnfeld in großem Stil gemeuchelt wurden. Passend zu den poppies gibt es auch einen Gedächtnistag, und der war wie ich feststellen musste heute. Ich war nichts böses ahnend unterwegs zu Angel und Maribel, als ich nicht unweit meines Hauses von einer kleinen Menge Leuten, Militär und Polizei am Weiterkommen gehindert wurde. Dann musste ich abwarten, bis ein paar finster dreinschauende Soldaten 3 Kanonenschüsse vor meiner Nase (und gefühlt in meinem Mittelohr) abgeschossen hatten, ein Offizier auf und abmarschiert war und die Kanonen wieder weggerollt wurden. Dann war der Spuk vorbei und wir durften alle weiterlaufen. Völlig seltsames Spektakel. Irgendwie auch unangenehm mit der Militärpräsenz und so weiter. Glücklicherweise konnte ich einen enttraumatisierenden Nachmittag mit einer Gruppe von nicht-Briten (eine Kolumbianierin, ein Spanier, eine Serbin, Silke und ich) verbringen – und das in einem Turm auf einer Insel mitten im River Foss – mit Blick über ein wunderhübsches York…

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© Isabella Paul-Jordanov