Ich trudelte gut gelaunt und ohne größere Verirraktionen in der Mühsamstraße in Friedrichshain ein, wo ich mein türkisfarbenes Zonen-Mobil wie es sich gehört neben einem Trabi parkte. Leider leider berührte ich bei dem Versuch, meinen fetten Rucksack von der Rückbank zu zerren, mit meiner Autotüre den benachbarten Trabi, was hinterlistig durch ein Fenster im Erdgeschoss direkt vor mir beobachtet worden war. Ich wurde von einem sichtlich angefrusteten, ein weißes Rippuntherhemd tragenden fiesen Bulldoggen-artigen Mann angeschrien, ob der Trabi mir etwas getan hätte. Ich war etwas verdutzt und antwortete sehr sehr freundlich, dass das nicht der Fall gewesen sei und dass rein gar nichts passiert sei und dass ich die Türe nicht mit Absicht so weit aufgemacht hätte, dass ein Berührungskontakt mit dem Trabi entstanden war. Offensichtlich suchte die Dogge aber nur ein Opfer zum Frust ablassen, denn sie (die Dogge) hörte nicht damit auf, mich weiter als „unverschämtes Ding“ zu bezeichnen und ich zog es vor, ohne weitere Kommentare in Richtung Ulli & Ylva zu verschwinden...
Schon zu früher Stunde am nächsten Morgen machte ich mich mit Ylva auf, um im Friedrichshain himself joggen zu gehen. Dieser besticht im Moment mehr durch die Präsenz diverser Baustellen und dazugehöriger Bauarbeiter, die weiblichen Joggern hinterherlinsen, denn lauschiger Parkatmosphäre. Dennoch gut gelaunt und glücklich über die gelungene Sportaktion machten wir uns anschließend auf gen Bäcker, um in verschwitztem und etwas angesifftem Zustand die Frühstücks“schrippen“ zu besorgen (Brötchen heißen in Schwaben Weckle, in Bayern Semmeln und in Berlin Schrippen), was uns abfällige Blicke der freundlichen Bäckereifachverkäuferin einbrachte. Auf dem Heimweg erzählte mir Ylva inspiriert durch das eben Erlebte einige Anekdoten über Begegnungen mit freundlichen Berliner Bäckereiangestellten. Ein Beispiel: Ein Mann aus dem süddeutschen Raum betrat die Bäckerei und meinte beim Blick auf die Stehtische erfreut zu der Verkäuferin: „Oh, hier kammer ja au Kaffee trinke!“ Die Verkäuferin erwiderte: „Ik kann Ihnen hier och Wasser rinlofen lassen, dann können se hier schwümmn!“ ...irgendwie schon originell.
Wieder zuhause begab sich auch Ulli endlich aus den Federn und huldigte eine Weile wie es sich gebührt den Sportskanonen, bis dann gefrühstückt werden durfte. Auch hierbei wurde ich mit lustigen Anekdoten über Berliner Kundgebungsveranstaltungen unterhalten, die die beiden Schnecken sich angeschaut hatten. Unter anderem eine Kundgebung der „Vereinigung glücklicher Arbeitsloser“, die es ungerecht finden, dass Firmen für Angestellte Steuern abführen müssen, aber für Automaten, die Arbeitskräfte ersetzen nicht. Deshalb plädieren sie dafür, dass künftig auch Automaten Steuern zahlen sollten, die wiederum den Arbeitslosen nach komplizierten Berechnungen in Form von 1000 Euro im Monat zufließen sollten...
Des Nachmittags, nachdem ich mich brav mit meiner Diplomarbeit beschäftigt hatte, zog ich mit Ylva los und erledigte Alltagsdinge wie Einkaufen. Natürlich auch in Friedrichshain, das vor dem 2. Weltkrieg ein Arbeiterviertel gewesen war und eigentlich dementsprechend hässlich. Besonders ist dort allerdings die Karl-Marx-Allee, die ehemalige Prachtstraße der DDR in Berlin, die sich dadurch auszeichnet, dass alle Häuserfassaden mit Meissner Kacheln verplättelt sind, was besonders im Sonnenschein recht nett aussieht. Was mir außerordentlich gut gefiel war, dass es in den Läden hier leicht andere Produkte gibt als bei uns. Mein Lieblingsprodukt waren Spülschwämme, die im Westen „Glitzi“ oder so heißen, aber hier in der Zone den Markennamen „2 super Schwämme“ tragen...
Außerdem wollten wir Käse shoppen und begaben uns zu diesem Zwecke zur Käsetheke, um das Angebot zu evaluieren. Uns sprang beiden ein Käse ins Auge, den wir auf den ersten Blick einstimmig als „lecker“ einstuften. Und als wir ihn umdrehten, stellten wir fest, daß sein Name „Alter Schwede“ war, was natürlich besonders in Ylvas (Schwedin!) Begleitung einen gewissen Witz in sich birgt...der Käse entpuppte sich tatsächlich als sehr lecker, allerdings roch er auch wie alter Schwede...
Den Abend verbrachten wir mit einem selbst gebrauten Kartoffel-Fenchel-Auflauf und erzählten uns Geschichten vom Pferd...
Wenn einer in Berlin zu einem sagt, daß er sich „jebumfiedelt“ fühlt, dann bedeutet das nicht veräppelt oder ähnlich Unangenehmes, sonder geschmeichelt! Und wenn einem etwas total gleichgültig ist, dann ist es einem „pomade“. Mann, dat is mir total pomade! Cool, gell!
Sowas lernt man im Märkischen Museum, wo ich mich des Morgens herumdrückte. Dort kann man noch allerhand andere interessante Dinge lernen, wie zum Beispiel, daß Napoleon sich im deutsch-französischen Krieg die Mühe gemacht hat, die Quadriga des Brandenburger Tors nach Paris zu karren und nach Ende des Kriegs wieder zurück...oder daß wir es mal wieder den Christen zu verdanken haben, dass die Akademie der Wissenschaften gegründet wurde: sie wollten nämlich, dass endlich mal vernünftig ausgerechnet wird, wann denn nun die Kirchenfeiertage wirklich sind. Kalender und so. Deshalb eröffnete Leibniz 1700 die Akademie der Wissenschaften! Außerdem gab es im MM ein ziemlich kultiges riesiges Gerät, um das in einem großen Rund Stühle aufgestellt waren und in das man durch 2 so Gucklochdinger hineinschauen konnte. Was man da sah waren 3-D-Bilder von Berlin von Ende des 19. Jhdts, die alle 10 Sekunden wechselten. Das Beste daran war allerdings, dass das offensichtlich alte Gerät Mühe hatte, die Bilder weiterzutransportieren und dabei ziemlich viel Wärme ausschwitzte, was meinen von der Kälte malträtierten Beinen großes Wohl tat. Ich war nämlich leichtfertig und dumm aufgrund des gestrigen guten Wetters im Röckle losgezogen und hatte dadurch einen schlimmen Regeneinbruch heraufbeschworen...
Mich am nicht vorhandenen Sonnenstand orientierend schaffte ich es um 2 wie geplant zu meinem Treffpunkt mit Ulli, um zu einem türkischen Markt zu gehen, wo viel leckeres Gemüse und eingelegte Delikatessen feilgeboten, bzw. wir zu deren Anpreisung von verschiedenen Seiten angeschrien wurden. Erschöpft von der Anstrengung, dem Kaufdrang zu widerstehen, sanken wir in ein nettes kleines Cafe am Paul-Lincke-Ufer, wo wir die Gesellschaft neuer deutscher Schauspieler teilen durften und wo Ulli zu dem Ober beinahe unverschämt geworden wäre, weil er uns unseren Milchkaffee immer noch nicht gebracht hatte, dem Nebentisch aber schon, dabei hatten wir noch gar nicht bestellt...
Die nächste Etappe stellte das Pergamonmuseum dar, das durch seine beeindruckenden Ausstellungsstücke – insbesondere einer Nachbildung des Ishtar-Tores - bestoch. Ich lief vom Wissensdrang getrieben durch die heiligen Hallen und war erfreut und angetan davon, dass bei den interessantesten Stücken 2-seitige Kommentarblätter in einem Wandhalter zum Wegnehmen vorhanden waren und sammelte jene fleißig ein, bis mir aufgrund der klappernden Centmünzen der anderen Interessierten beim 4. Bogen aufging, dass man selbige hätte kaufen müssen. Ups.
Einkaufen ging ich dann auch, aber eher Salat fürs Abendessen in unserem Ost-Supermarkt Reichelt. Dort wurde ich von diversen alten Frauen mit „Frollein“ angequatscht und gefragt, ob ich nicht auch fände, dass der Rotkohl überteuert sei. Ich stimmte dem natürlich zu, wer weiß, was sonst noch passiert wäre... Mir stach noch eine Ost-Besonderheit ins Auge: frisch gepresster Saft heißt hier nicht wie im Wessie-Land einfach „frisch gepresst“, sondern „Direktsaft“. Ich frage mich nur, ob nicht-frisch-gepresster Saft dann auch „Indirektsaft“ heißt... das konnte ich nicht rausfinden.
Insgesamt sollte man sich in Berlin insbesondere in der Nähe von U-Bahnstationen bemühen, sich dem Standard-Berliner anzugleichen und ein möglichst mürrisches Gesicht zu machen, da man ansonsten permanent von irgendwelchen Typen angelabert wird, die einem etwas andrehen, verschenken oder vermieten wollen...vielleicht lag´s aber auch nur an dem Rock...
Abends machten wir uns auf in das Friedrichshainer Kommunalkino namens „International“, das vor dem Mauerfall das Superduper-DDR-Kino gewesen war, wenn man der alten Schwedin Glauben schenken darf...
Am nächsten Morgen war ich dann zum ersten Mal alleine joggen, und das eine ganze Stunde lang. Allerdings weniger aus sportlichem Ehrgeiz, denn aus der Tatsache heraus, dass ich mich im Friedrichshain verjoggt hatte. Und das, obwohl ich versucht hatte, mir ein ausgeklügeltes System an Landmarken zu merken. Frauen und Orientierung.
Abends boten Ulli und Ylva wieder einigen Anekdoten-würdigen Stoff. Ylva berichtete mir unter anderem von einem weiteren Erlebnis im Reichelt (da kann man echt viel erleben) an der Wursttheke. Ein typisch freundlicher Berliner wollte 150g Schinken haben. Die Wurstfachverkäuferin fragte daraufhin: „Wollen Sie von dem teuren oder dem billigen Schinken?“ Der Einheimische entgegnete: „Wat globn Sie denn? Seh ik os wie Rockefeller oder wat?“ Damit war die Sache geklärt.
Mein letzter aktiver Tag in Berlin war angebrochen, also machte ich mich flugs auf in den Berliner Dom. Nicht, weil ich mich in den warmen Schoß der Mutter Kirche begeben und ein bisschen beten wollte, sondern weil man dort auf die Kuppel raufsteigen und Berlin von oben anschauen kann, ohne sich wie vor dem Reichstag die Füße in den Bauch zu stehen oder am Fernsehturm Millionen Euros dafür zu berappen. Der Kuppelrundgang erwies sich als sehr lohnend, weil neben der guten Aussicht die Straßenmusik von unten herwehte und ich ein wenig sentimental Zeuge einer verzweifelten Liebe werden durfte, die man von unten nie vermutet hätte: Im benachbarten, überaus scheußlichen Gebäude des „Palasts der Republik“ hatte ein verzweifelter Sprayer an ein Fenster ganz oben folgenden rührenden Satz gesprüht: „Help! A love you, Hanni“.
Wieder abgestiegen machte ich mich auf zum Alex (das sagt man als Berliner ganz cool zum Alexanderplatz), um dort entgegen meines Vorsatzes und dank der wenigen Zeit in Berlin doch die Tram zum Technikmuseum zu nehmen, anstatt zu laufen. Auf dem Weg zur U2 passierte ich in den Katakomben unter dem Alex einen kleinen Laden mit Ostprodukten, in den ich mich natürlich sofort hineindrückte, um einen Blick auf die tollen Zonen-Markennamen werfen zu können, die ansonsten in gewöhnlichen Supermärkten nur extrem gut getarnt in den hinterletzten Regalen hocken. Ich hätte mich totlachen können da drin, fand das aber unhöflich, so dass ich aus lauter schlechtem Gewissen sogar noch etwas kaufte, nämlich eine „Süßtafel“ (Westen: Schokolade) und „Choci Schokobohnen“ (Westen: Schokolinsen). Mein Lieblingsprodukt war allerdings ein Fleckentferner namens „Zymat“ und mein allerallerliebstes Produkt ein Haarshampoo namens „Wutapoon“...
Im Technikmuseum tatschte ich alles an, was sich antatschen ließ, was ziemlich viel war, da es sich um eines dieser Antatschmuseen handelte. Das mag wohl auch der Grund gewesen sein, warum außer mir hauptsächlich Schulklassen herumturnten, die sich zwar null für den Sinn hinter den Experimenten interessierten, aber trotzdem alles anfingern mußten. Auf jeden Fall waren sie besonders in der Akustikabteilung penetrant und ich hätte gerne das ein oder andere Schülerexemplar in den Starkstromkasten geschickt, weil ich vor lauter permanentem Geklingel und Gebrumme, Getöne und Gekrache nicht dazu kam, auf die verschiedenen sich verändernden Schwebetöne in einer der Versuchsanordnungen zu hören.
Danach brauchte ich erst einmal einen Kebab. Aber auch dabei sollte man in Berlin Vorsicht walten lassen. Da in Berlin die größte türkische Population außerhalb der Türkei ihren Sitz hat (dank der Gastarbeiterzeit Ende der 60er), gibt es dort nämlich zwar zigtausende Döner-Kebab-Buden, allerdings kann es einem passieren, daß man in einen Laden gerät, der aussieht wie eine Kebabbude, der etwas verkauft, das aussieht wie Kebab, das riecht wie Kebab und das schmeckt wie Kebab...das aber nicht so heißt wie Kebab. Dann befindet man sich in einem nicht-türkischen, aber anders arabischen Laden, wo Kebabs „Schawarma“ heißen. Wenn man das nicht weiß, kann man übel anecken, wird fies zurechtgewiesen und wird womöglich gar nicht mehr bedient...Das wußte ich gottseidank noch von meinem letzten Berlinaufenthalt und verhielt mich dementsprechend korrekt.
Im Anschluß traf ich mich mit Ylva, um nach Potsdam zu fahren und im Park von Schloss Sanssouci lustzuwandeln. Um dies bewerkstelligen zu können, stärkten wir uns erst mit einem dringend nötigen Milchkaffee in einem original Fake-Wiener-Kaffeehaus, wo die Bedienung zu unserer Enttäuschung nicht wienerisch, sondern extrem sächsisch sprach, wo es aber immerhin in der Karte „Schlagobers“ anstelle von Schlagsahne hieß (an dieser Stelle noch ein alter Favorit von mir: aufgeschäumte Milch heißt auf Niederländisch „obgeklopte Melk“). Außerdem zeigte mir Ylva dort ihre Zonenschmerzmitteltabletten für Menstruationspein namens „Mensotom“...
Sanssouci erwies sich als überaus hübsch mit einem wundervollen Garten, wobei die überall herumstehenden blühenden Buchen sowohl Ylva als auch mich zu Niesattacken provozierten, so dass wir überall quasi doppelt genossen...
Darüberhinaus erzählte mir die alte Schwedin von einer etwas peinlichen Aktion in einer Zonenapotheke, als sie anstelle nach einem Bimsstein zum Hornhautabschaben zu fragen, aus unerfindlichen Gründen folgendes zu der Apothekerin sagte „Entschuldigen Sie, aber ich würd gern bei Ihnen einen Fußpilz bestellen...“ Naja, andere Leute bestellen sich Kombucha-Pilze...