29.7.14
Seit ca. 2 Jahren dürfen wir einer beispiellosen Demonstration von Demokratie in Deutschland beiwohnen, wobei „beiwohnen“ an dieser Stelle leider sehr wörtlich zu nehmen ist. Dass wir im Münchner Süden in der Region Starnberger See nicht gerade im Armutsviertel leben, ist klar. Allerdings hätte ich mir das Ausmaß der Luxusprobleme hier nie träumen lassen.
Wir wohnen in einer sehr ruhigen Sackgasse, direkt an ein Landschaftsschutzgebiet grenzend. Das Sträßchen ist einseitig bebaut, 6 Häuser grenzen an. Bisher war die Straße eher naturbelassen, d.h. ungeteert und auch sonst von der Gemeinde vergessen, da außer den betroffenen Bewohnern niemand die Straße benützt. Wenn man das ganze positiv sehen will, könnte man sagen, es sei idyllisch. Wenn man allerdings Zeit hat, sich den ganzen Tag wegen Nichts selbst die Laune zu verderben, kann man sich darüber aufregen, dass man seine Mülltonne 2 Mal in der Woche ca. 100 m an die Hauptstraße schieben muss. Oder dass der Schneeräumer im Winter nur dann in unsere Straße fährt, wenn es wirklich nötig ist und nicht, wenn 3 Flocken Schnee gefallen sind. Ja, das sind existentielle Probleme.
Wenn man so leidet, muss man natürlich der Situation ein Ende bereiten. Dies tut man, in der man der Gemeinde so lange auf der Tasche liegt, bis sie entnervt beschließt, diese für den Ort unglaublich wichtige und intensiv genutze Straße „herstellen“ zu müssen – auf Kosten der Anwohner, versteht sich. Was „Herstellen“ bedeutet kommt gleich. Das besonders Schöne an der Situation ist, dass den anliegenden Hauptinitiatoren der Straßenverschönerungsaktion der explizite Wunsch von 4 (von insgemsant 6!) ebenfalls anliegenden Nachbarn, die Straße nicht herzustellen, bzw. der Hinweis, dass sich manche Mitmenschen unter uns die „Herstellung“ gar nicht leisten können, herzlich egal war. Was zählt schon ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis, wenn man seine Mülltonnen nicht mehr an die Hauptstraße schieben muss.
Nun zur „Herstellung“. Der ursprüngliche Plan war, unser Sträßlein gegen eine 3,5 Meter breite Autobahn zu ersetzen, mit doppelter Asphaltschicht, 1,5 Meter Rasengittersteinen zur Entwässerung, und Granitsteinen an beiden Seiten der Fahrbahn, damit bei der immensen Abnutzung durch die Anwohner und dem permanenten Gegenverkehr, wenn die Anwohner alle zeitgleich die Straße nutzen und sich gegenseitig ausweichen müssen, nicht der Teer abbricht. Selbstverständlich brauchen wir auf 100 Metern auch 3 bis 4 Straßenlaternen, damit unsere Straße dazu in der Lage ist, den Rest unserer Ortschaft zu beleuchten. Dort existieren nämlich interessanterweise so gut wie keine Straßenaternen. Kosten des ganzen Spaßes: ca. 125000 Euro, von den Anwohnern zu entrichten. Dazu kam noch die brilliante Idee, auch die Straßenerwerbskosten, d.h. das Geld, das die Gemeinde einstmals an den Besitzer der damals noch privaten Straße bezahlt hat, bei der Gelegenheit auch gleich noch auf die Anwohner umzulegen, da die Straße nicht im öffentlichen Interesse sei und nur den Interessen der Anwohner diene. Hmm, irgendwie kommt man da nur schwer mit – die Gemeinde will entgegen der mehrheitlichen Interessen der Anwohner eine Straße bauen, die eigentlich nicht im Interesse der Gemeinde ist? Wen interessiert diese Straße denn dann überhaupt? Diese philosophische Frage muss wohl unbeantwortet bleiben.
Da alles vernünftige Daherreden über Demokratie und Sinn und Unsinn dieser Straßenbauaktion wie zu erwarten im Sand verlief und der Gemeinderat (mit Ausnahme einer Partei) trotzig für den Bau der Straße stimmte, taten wir 4 gegnerischen Parteien uns mit einer Anwältin zusammen, um wenigstens die aberwitzigen Kosten der Straße zu senken. So wurden wir denn allesamt beim Bürgermeister vorgeladen, um unsere Anliegen vorzubringen. Begleitet wurden wir von der 5. anliegenden Partei, die der Straße eigentlich wohlgesonnen war, jedoch unsere finanziellen Nöte verstehen konnte, und uns deshalb bei unserm Anliegen unterstützen wollte. Wer es nicht für nötig hielt, bei der gemeinschaftlichen Aktion aufzukreuzen: die Anzettler. Naja, das wunderte nicht wirklich, ärgerte aber umso mehr.
Wir fragten also, ob man den Straßenbau nicht etwas weniger pompös veranstalten könne, da es 1) im gesamten Ort keine andere so luxuriöse Straße gibt, die mit unserer geplanten Straße auch nur annähernd zu vergleichen wäre, und 2) die Durchfahrtsstraße durch unseren Ort – von der man ja meinen könnte, sie sei tatsächlich viel befahren – weder eine Grantibegrenzung, noch Straßenlaternen, noch Rasengittersteine zur Entwässerung hat, etc. Diese Argumente wurden abgelehnt mit der Aussage, die Straßenbauordnung habe sich eben verändert und man müsse nach dem heutigen „Standard“ bauen. Unser Nachbar legte das Gutachten eines Baustoffchemikers vor, das bewies, dass man den teuersten Posten, nämlich die Granitsteine, durch wesentlich billigere, moderne Spezialbetonsteine ersetzen könnte. Dies wurde abgelehnt mit der Begründung, dass wir nicht beweisen könnten, dass diese Betonsteine, wenn im Winter gesalzen wird, auch genauso resistent wie Granit sein würden. (Kurze Anmerkung: in der Zeit, in der wir nun in der besagten Straße wohnen wurde noch nicht ein einziges Mal im Winter gesalzen, da es durchaus wichtigere Straßen für den Winterdienst gibt als unsere.) Also bissen wir bei der Gemeinde buchstäblich auf Granit, zumal unser Bürgermeister uns direkt und offen sagte, dass die Gemeinde etwas dauerhaftes bauen wolle, da die Reparaturkosten auf Gemeindeseite liegen würden (im Gegesatz zu den Herstellugnskosten, die wir zu berappen hätten). Immerhin gelang es uns, den doppelten Asphaltbelag auf einen einfachen herunterzuhandeln. Hipp hipp, Hurra!
Gebaut werden sollte unsere Luxusstraße trotz einer angeblich im Großraum München bekannt gemachten Ausschreibung sehr überraschend vom benachbarten und in der Gemeinde beheimateten Tief- und Straßenbauunternehmer. Und – Wunder oh Wunder – es stellte sich nach mehreren für den naiven Außenbetrachter nicht nachvollziehbaren Aufgrab- und Zuschüttaktionen heraus, dass der Untergrund doch nicht so gut wie bei der Bohrung von neulich angenommen war, so dass das Ganze natürlich noch teurer werden würde. Bei der Gelegenheit wurde uns dann gesagt, dass anstatt des Asphaltbelags nun gepflastert würde, da das angeblich billiger sei und man dadurch die höheren Kosten wegen des schlechten Untergrunds ausgleichen wollte. Und jetzt kommt der Clou – gepflastert wurde mit: ......Betonsteinen!!! Gibt’s das! Wo uns noch gesagt wurde, wir dürften nicht Beton- statt Granitsteine als Straßenbegrenzung verwenden wegen Salz im Winter und Nachhaltigkeit und so. Auf einmal schien das nicht mehr interessant zu sein. Interessant war jedoch, dass der benachbarte Bauunternehmer nun seine neu erstandene Pflastermaschine einsetzen konnte anstatt einen Drittanbieter für den Asphalt zu bestellen. Trotz allem wurde der Preis für die Straße nicht 125000 Euro wie im Voranschlag berechnet, sondern 137000 Euro plus die vermaledeiten Straßenlaternen mit 1500 Euro das Stück.
Um den Zorn der Anwohner (zumindest 4/6 davon) ganz im Sinne von darüberwachsendem Gras zu besänftigen, wurde uns die frohe Botschaft überbracht, dass wir die Rechnung erst 2015 zu bezahlen hätten. Mehrfache Nachfragen von Anwaltsseite und durch uns, ob man uns nicht finanziell mit zinsloser Stundung bei der Gemeinde, Grundschuldeinträgen, und anderen noch schöneren Optionen, die im Ermessen einer schuldenfreien Gemeinde liegen, sind bisher unbeantwortet geblieben.
So harren wir also weiter der Dinge an einer mittlerweile wunderbar hergestellten Straße und einem zerrütteten Nachbarschaftsverhältnis. Ja, das war die ganze Aktion wirklich Wert!