Ein Schwabe in Bayern
Ein Schwabe in Bayern

Autofahrertypologie

2010

 

Es geht um ein mich sehr belastendes, immer wiederkehrendes Schauspiel beim Autofahren, und zwar an den Stellen der Straße, an denen die Städteplaner versucht haben, den Verkehr durch Verengung der Fahrbahn zu „beruhigen“. Dort spielt sich tagein tagaus ein brutaler Machtkrieg ab. Eigentlich ist die Situation, wenn sich 2 Autos an einer jener verengten Stellen begegnen, klar und durch die deutsche Verkehrsgesetzgebung ausnahmsweise vernünftig geregelt: die Person hinter dem Hindernis muss warten, bis die Person ohne das Hindernis vorbeigefahren ist. Doch was sich jeden Tag aufs Neue im provinziellen Vorort der Stadt abspielt, zeigt dass das menschliche Wesen seine Menschlichkeit ablegt, sobald es sich in der Anonymität einer Blechkiste befindet. Es gibt einige Typen von Autofahrern, die sich meist schon in 100 Meter Entfernung erkennen und kategorisieren lassen: das Alphatier, die ignorante Alte, der versteckt aggressive Rentner und Leute wie mich. Eigentlich will ich mich an die so vernünftige hinter-dem-Hindernis-warten Regel halten – sie erscheint mir sinnvoll und gerecht und führt dazu, dass man manchmal zuerst fahren darf und manchmal drei Sekunden Geduld aufbringen muss. Das ist fair. Das ist demokratisch. Doch wenn mir ein Auto mit einem Fahrer der oben genannten Kategorien begegnet, wird die Bestie in mir entfesselt. Ich kann nicht sagen, welche Kategorie Autofahrer mich am meisten erzürnt, aber ich weiß, dass mich die Verhaltensweise dieser Verkehrsfeinde in meinem Kleinkrieg der Gerechtigkeit dazu bringen, mein Recht einzufordern, wenn nötig mit Gewalt. 

 

Das Alphatier fährt in der Regel ein größeres Auto einer teuren Marke mit Fließheck (alternativ geht auch ein SUV). Das Auto hat gedeckte Farben und Scheinwerfer, die aussehen wie die Augen eines bösartigen Tieres. Die Scheinwerfer sind auch gerne tagsüber eingeschaltet und die Halogenlichter schaffen es sogar, den entgegenkommenden Autofahrer bei Sonnenlicht zu blenden und in seine Schranken zu weisen. Das Alphatier macht schon früh vor dem Hindernis klar, dass es nicht vorhat, sich unterzuordnen und holt im weiten Bogen auf die Gegenfahrbahn aus um zu demonstrieren wer der König der Straße ist. Das entgegenkommende Beta- oder Gamma-Fahrzeug muss, obwohl es eigentlich das Recht hätte, friedlich seines Weges zu fahren, bremsen und dem Alphatier den ihm zustehenden Platz einräumen, es sei denn das niederrangige Tier – Entschuldigung Auto – möchte einen Zusammenprall riskieren, bei dem es zweifelsohne aufgrund der physischen Unterlegenheit den Kürzeren ziehen würde. Beim Vorbeifahren straft einen das Alphatier mit verdienter Ignoranz. Selbstverständlich hat es nicht nötig, sich für die erzwungene Vorfahrt zu bedanken

 

Die ignorante Alte befindet sich in einem wohlgepflegten Fahrzeug, das einstmals (vor ca. 15-20 Jahren) ein teures Auto gewesen ist. Auf der Ablage der Rückbank finden sich Klorollen mit selbst gehäkelten Klorollen-Mützen. Vor dem Einsteigen muss man sich die Schuhe abklopfen. Essen ist in diesem Auto selbstverständlich tabu, eigentlich ist es sogar tabu, in diesem Auto zu sitzen. Immerhin könnte dabei der Sitzbezug Schaden nehmen. Deshalb werden auch die Sitzflächen durch selbst gehäkelte Decken geschont. Diese haben die Funktion, dass das Auto nach jahrelanger aufopfernder Schonung bei der Verschrottung noch immer tadellos und wie unbenutzt aussieht. Die ignorante Alte ist so sehr mit dem Reinhalten des Interieurs ihres Autos beschäftigt, dass sie beim Fahren nicht bemerkt, dass auch andere Fahrzeuge – zum Beispiel ich - unterwegs sind. Wenn sie einen dann beim sehr knappen Passieren doch noch bemerkt kann man sich darauf gefasst machen, dass sie lautlos durch die Scheibe schimpft wie ein Rohrspatz, weil man ihrem Augapfel zu nahe auf die Pelle gerückt ist. 

 

Der versteckt aggressive Rentner fährt ein Auto, das seine besseren Tage schon gesehen haben und garantiert mit Hut. Dank letzterem ist er auch schon von weitem zu erkennen und man hat die Chance, umzukehren oder an den Rand zu fahren. Falls man dies nicht tut, begibt man sich auf gefährliches Terrain. Nicht nur denkt der versteckt aggressive Rentner gar nicht daran, hinter einem geparkten Auto zu warten und den Gegenverkehr durchzulassen, er scheint es geradezu darauf abgesehen zu haben, seine Gegenspieler (denn das sind andere Verkehrsteilnehmer per definitionem) auszuschalten. Vielleicht hat er damals als Teenager Ben Hur zu oft im Kino gesehen, die Nachbarskinder haben wieder mal zu laut gespielt, jemand hat die Biomülltonne nicht mit der Vorderseite sondern mit dem Griff zur Straße hin rausgestellt, oder ein Vogel hat es gewagt im Baum vor dem Schlafzimmerfenster noch vor Sonnenaufgang zu singen – einerlei, am besten man geht den Rachegelüsten des versteckt aggressiven Rentners aus dem Weg. Tut man dies nicht, muss man Nerven aus Stahl beweisen und darauf hoffen, dass man die Dimensionen seines Autos sehr, sehr gut kennt, denn mehr als einen halben Millimeter Platz wird man beim Vorbeifahren nicht haben.

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© Isabella Paul-Jordanov